Hungry Eye (1949-1979)

Anlässlich der Ausstellung Hungry Eye (1949-1979), 2008, Galerie Spesshardt & Klein, Berlin

„Irgend etwas ist uns als erstes gegeben, eine Erinnerung zum Beispiel.“ Das sagte Jean-Luc Godard in einem Interview mit den Cahiers du cinéma im Jahr 2000 und lieferte damit ein Minimalintro für die anschließende Bemerkung, die man getrost als Jahrhundertsatz verstehen darf: „Das Gesagte kommt vom Gesehenen“. Am Ende eines Jahrhunderts, das sich in Sachen Visualisierungstechniken, Textgenese, Theorieproduktion und Erlösungspolitiken in unermessliche Höhen aufgeschwungen hatte, war dieser Satz nur äußerlich eine beinahe kleinlaute Zurechtweisung. Im eigentlichen Sinne war er ein Hinweis, dass es eine Aussage zu treffen gilt, als Wort, als Bild, und dass die Aussage eine Herkunft, eine Vorgeschichte haben wird, die für alle „Nach Postmodernen“ zu einem Materialmonstrum geworden ist, das sich so einfach nicht dressieren lässt.

Für ein Subjekt, das sich nicht nur definieren will, sondern definieren muss, wird diese Aussage immer wieder zu treffen sein. Hunger ist dabei das motivische Element für Utopie. Und dieser Bogen, den es zu vollziehen geht, lautet kurz: Die Erfüllung der Utopie ist die vollständige (Selbst-) Identifikation des Subjekts innerhalb einer vollständigen Beschreibung (der Bedingungen) des Realen. Das kollektive Trauma der „Nach Postmodernen“ jedoch besteht gerade in dem vorauseilenden Wissen, dass diese Vollständigkeit niemals zu erreichen ist. „Lacans objet petit a, … Objektursache des Begehrens“, zeigt indes unerbittliche Wirkung. Das Begehren lässt sich nicht abstellen, nicht zum Schweigen bringen. „Was für jemand anderen einfach ein gewöhnlicher Gegenstand ist, ist für mich der Mittelpunkt meiner libidinösen Investition, und diese Verschiebung wird durch ein unergründliches Etwas, ein je ne sais quoi im Objekt verursacht …“ Dieses Nicht-Wissen ist Ursache der Schmerzproduktion gleichursprünglich mit der Herstellung der Gegenmedizin, dem Versuch, eine Sprache zu finden, die diesen Schmerz killt. Wenn das Gesagte jedoch vom Gesehenen kommt, woher kommt dann das Gesehene? Erfährt es seine Herkunft durch jenes je ne sais quoi im Objekt? Durch die Konstitution des Subjekts? Oder durch das diverse Material der Geschichte?

Im Gespräch mit Alexandra Hopf wird schon nach wenigen Sätzen klar, dass es kein einfaches Gesehenes gibt. Entsprechend gibt es auch keine einfache Aussage, kein plumpes Bild. Sie wühlt sich, um diesen Begriff Adornos zu verwenden, an verschiedenen Orten der Matrix aus Objekt, Subjekt und Geschichte ein, um hier und da wieder aufzutauchen, wissend, dass bei der Produktion immer schon das Vergessen mitspielt, ebenso wie dass die Geschichte keine Kontinuität kennt, vielleicht sogar im Sinne Rancières, dass Geschichte keiner Notwendigkeit gehorcht. Geschichte ist eine Konstruktion. Nicht von ungefähr kommt es, dass der Titel der Ausstellung neben dem Begehren des Cogito einen Zeitraum (1949-1979) skizziert, den es laut Kalender tatsächlich gegeben hat, der aber genauso ein simulierter Zeitraum ist. Aus diesem Geschichtsbegriff resultiert überdies die Freiheit, die formale Sprache variabel zu gestalten. Zeichnung, Malerei, Fotografie, Installation, alles wird bedient, solange es hilft, einer inneren Landkarte von Gedachtem in die Äußerlichkeit zu verhelfen. Die formalen gestalterischen Versuchungen überkreuzen sich dabei mit politischen. Und auch die (Selbst-) Interpretationen greifen weit gefächert auf das breite Spektrum der im weitesten Sinne Malerei, Psychoanalyse, philosophischen und politischen Strategien zurück.

„Wir haben mehr Unterbewusstsein als Bewusstsein.“ Hier mischt sich Reenactment mit – im positiven Sinne – Zitatenlastigkeit, immer eingedenk, dass der Gegner/Partner, das unmittelbar vergangene Jahrhundert, übermächtig und unabgearbeitet ist. Dieser melancholischen Keule lässt sich jeweils nur mit dem utopischen Vorgriff begegnen, der wiederum weiß, dass ihm wenig Aussicht auf Erfolg beschieden sein wird. In diesem Zerreißspiel wirkt Alexandra Hopf an der Schnittstelle – wie sie sagt – Melancholie / Utopie. Melancholisch bedeutet in diesem Zusammenhang nicht süßlich, schwach und romantisch. Überhaupt lässt sie nichts ungeprüft nach draußen. Wenn Arbeiten wie der „Partisanenbaum“ ein politisches Zitat aus der Zeit der ´68 Revolte oder „Les Mal-A-Dis“ Begriffe aus der Wunschkultur wie Valium, Viagra, Prosac u. a. verwenden, dann darf man davon ausgehen, dass die Suche nach Referenzen bzw. den Referenten einem anstrengendem Parcours zwischen den verschieden Quellen vorangegangen ist.

Aus der Symmetrie bringen, organisches (Wieder-) Zusammenfügen, Zellgewebe, klonhafte Bevölkerung der Landschaft (wie in „Critical Myth“), anonyme Autorenschaft, Angstkonfrontation wenn nicht Angstminderung, Distanzleistung (Fotografie), Umkehrung von Schwarz und Weiß, die generell umgekehrte Arbeitsweise in der Glasmalerei: die Grundierung kommt zuletzt, Durchlässigkeit, Aufblitzen/Nachbild (W. Benjamin), Collage, Erinnerung, Vergessen, Zitat, Wunsch, Begehren, Traumdeutung, das Unbewusste – all dies sind Begriffe, die in der Arbeitsweise von Alexandra Hopf maßgebliche Rollen einnehmen. Dabei richtet sie den Verdacht gegen sich selbst, zwanghaft Schönheit zu produzieren. Der schwarze Glanz/Spiegel in der hier gezeigten Glasmalerei wird förmlich als Fetisch betrieben. Und das doppelt, als Genussobjekt für das produzierende wie betrachtende Subjekt. Und als Spielfläche, die je nach Bedarf jede Zeicheninterpretation annehmen oder ablehnen darf. Weiß wird so nur zum Schein schwarz. Mehr oder weniger ist es auch eine (Selbst-) Provokation – Glanz und Glätte.

Allein die Titelliste der Arbeiten zeigt, dass quasi exemplarisch das ganze Feld der Begriffe zwischen Philosophie und Psychoanalyse, Realem und Mythos, Politik und Natur, die im vergangenen Jahrhundert wichtig waren, umgegraben wird. Wenn schon der überstrapazierte Begriff vom Diskurs, dann hat er hier eine wirkliche Berechtigung. Glanz ja, aber kein Glamour. Immer Gefahr laufend, in die autarke Falle zu tappen. Alexandra Hopf ist zweifellos eine seriöse Fighterin, immer von dem Wunsch beseelt, dass im utopischen Raum Melancholieverbot herrscht.


Vgl. Slavoj Žižek, Parallaxe, Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 2006 ebd.
Vgl. Jacques Rancière, Das Unbehagen in der Ästhetik, Wien: Passagen, 2007
Zitat in deutscher Übersetzung: „Kameraden, die Menschheit wird erst an dem Tag glücklich sein, wenn der letzte Kapitalist an den Eiern des letzten Bürokraten hängen wird.“
Der Begriff der Schönheit bleibt an dieser Stelle eine ausgiebige Erklärung schuldig. Als Hinweis mag dienen, dass das Ideale mehrfach asymmetrisch gebrochen und umcodiert ist. Am ehesten dienlich ist vielleicht der Kantsche Begriff des „transzendenten Scheins“: Das Zeichen ist weder für das Erkenntnisvermögen noch für den Willen verfügbar und erfreut sich, wenigstens für den Moment, seiner Autonomie.