Die Bauern (1927)

Die Bauern (1927)
Interview zwischen Alexandra Hopf and Nadia Schneider Willen, Sammlungskonservatorin am Migros Museum, Zürich

Nadia Schneider Willen (NS): Du hast während Deiner TaDa Residenz an einem Projekt gearbeitet, das den Titel "Die Bauern (1927)" trägt. Es handelt es sich um ein vielschichtiges künstlerisches Projekt, das von der fiktiven Begegnung zweier bedeutender historischen Persönlichkeiten ausgeht, Bertold Brecht und Kasimir Malewitsch, die zusammen ein Theaterstück mit genanntem Titel erschaffen haben sollen; Brecht als Autor, Malewitsch als Kostümdesigner. Dein Werk materialisiert sich, wie es oft in Deinen Arbeiten der Fall ist, auch in einer Publikation, welche als Programmheft zum Stück proklamiert wird. Sie enthält Fragmente des Dialogs zwischen den beiden Protagonisten, Deine eigenen Texte sowie Ausschnitte aus historischen Quellen und ist wunderbar im Geiste der Zeit gestaltet, allerdings mit deutlichen Verweisen auf unserer digitales Zeitalter. Weiter sind darin Schnittmuster wie auch Abbildungen von Objekten enthalten, die man als Kostüme interpretieren kann, die für das Stück entworfen wurden. Die Abbildungen im Programmheft sind schwarz/weiss, aber man erkennt, dass die Kleidungsstücke durch unterschiedliche Applikationen auf den Stoffen zum Leuchten gebracht werden - und ahnt, dass das für den Umschlag verwendete Material damit im Zusammenhang steht. Diese Objekte - Du nennst sie nur im Kontext der Fiktion „Kostüme“ - hast Du im Zusammenhang mit Deiner Residenz in Arbon entwickelt und bilden, zusammen mit der Publikation das Werk „Die Bauern (1927)“.

 

Als erstes würde es mich interessieren zu verstehen, wie Du dieses komplexe und rechercheintensive Projekt entwickelt hast. Welches waren die Elemente der Arbeit, die Dir als Ausgangspunkt für die Entwicklung der Objekte während Deiner TaDa-Residenz gedient haben und was entstand sozusagen in Konsequenz? Wie hat das Experimentieren mit Materialien und Techniken in Zusammenarbeit mit den spezialisierten Firmen Dein Projekt allenfalls beeinflusst?


Alexandra Hopf (AH): Ich setze mich seit einigen Jahren mit der russischen Avantgarde auseinander, in der es u.a. um die Vision des Neuen Menschen, den Menschen der Zukunft (im Kommunismus) ging.

Mein Ausgangspunkt waren die späten Bauerndarstellungen Kasimir Malewitschs im Jahr 1927. Auf den Malereien standen diese Bauern zwar einsam und gesichtslos in den Feldern, erinnerten aber in ihrer Darstellung an den metallischen Glanz russischer Ikonen. Diesen Widerspruch fand ich interessant. Wie lässt sich die Verbundenheit zur Natur (bzw. den Verlust), die die Bauern verkörperten und die moderne Technologie (damals die Industrialisierung der Landwirtschaft) heute bildlich und stofflich übersetzen bzw. darstellen?

In der Firma Lobra mit Sitz in Thal, die auf Veredelung und Konfektionierung unterschiedlichster Folien spezialisiert ist, habe ich aus retroreflektierendem Material unterschiedliche Formen gestanzt und auf natürliche Materialien wie Jute und Leinen laminiert. Das retroreflektierende Material wird durch seine grosse Sichtbarkeit auch zur Wärmereflektion (als Hitzeschild) auf vielen Gebieten eingesetzt. Es ist ein Material der Zukunft, dessen Reflektions-und Wirkungsgrad ständig verbessert wird.

Da die Firma auch Logos für bekannte Marken auf Folien druckt, habe ich die Idee des Branding aufgegriffen und verschiedene logoartige Gebilde und Muster aus den Symbolen der Sichel und der Faust entwickelt. Die Muster sind wiederum lose an die Stickereien auf Bauerntrachten angelehnt.

Die entstandenen „Kleider“- Objekte habe ich dann retrospektiv als Kostüme eines Theaterstückes- einer imaginären Kollaboration zwischen Bertolt Brecht und Malewitsch - konzipiert, welches zur Entstehungszeit im Jahr 1927 Kritik an der Umerziehung zum Neuen Menschen Ausdruck verleiht. Auf den Kostümen wird das Symbol der kommunistischen Sichel zum rein dekorativen Element und dadurch ausser Kraft gesetzt, wohingegen die Faust, als Symbol des Widerstands und ihrer Zeit voraus, ihre Wirkung entfalten kann.

 

NS: Wenn ich also richtig verstehe, war die Grundidee mit der Du Dich für die Residenz beworben hast, eine zeitgenössische Interpretationen dieser - sehr abstrahiert dargestellten - schimmernden Gewänder herzustellen, die  auf den Gemälden Malewitschs zu sehen sind. Das „Skript“, wenn man das so nennen kann, oder anders gesagt, die fiktive, aber dennoch sehr präzise in einen historischen Kontext eingebettete Geschichte, hast Du erst danach entwickelt, richtig?
Was ich bei Deiner Arbeit immer schon faszinierend fand ist dieses unauflösbare Verhältnis zwischen dem materiellen künstlerisch Objekt (hier den „Kostümen“) und dem Text/der Publikation. Das Objekt kann Malerei sein - Du bist eine unglaublich gute Malerin! - oder wie in den letzten Jahren oft Kleidungsstücke besonderen Ursprungs. Diese materiellen Dinge können zwar für sich stehen, aber mir scheint Deine künstlerische Arbeit erst im Bezug zu den sehr sorgfältig recherchierten und geschriebenen Texten und gestalteten Publikation vollendet zu sein. Wie siehst Du dieses Verhältnis von Objekt und Text? Und hatte die Tatsache, dass Du Dich in der TaDa-Residenz mit den Spezialisten bei Lobra auf neue Techniken und Experimente eingelassen hast eine Veränderung auf Deine Arbeitsweise und dieses Verhältnis zu folge? 

 

AH: Das Skript bzw. das Theaterstück für die Publikation hatte ich bereits April/Mai 2020 (im Lockdown) geschrieben. Die Idee, dass „Kostüm“- Objekte Teile dieses Theaterstückes sein werden, existierte also schon vorher. Die historischen Texte kamen dann später dazu. Die Publikation, in welcher historische Recherche, Fiktion und Poesie ineinander verwoben werden, ist sowohl Teil der Arbeit, steht aber auch als Edition für sich. Die „Kostüme“ sind Skulpturen, könnten aber auch z.B. für eine Aufführung getragen werden.

In der Publikation beziehen sich Text und Bild assoziativ aufeinander. Dabei suggeriert der Text eine Aktualität (Ausnahmezustand/ die Anspielung auf Kunst als Bazillus), obwohl die Geschichte im Jahr 1927 spielt. Des weiteren habe ich typische Elemente und Symbole, die wir von Internetseiten kennen, in das Layout eingebaut, die das Spiel mit den Zeitebenen fortsetzen.

Das Arrangement der applizierten Sicheln auf den „Kostümen“ erinnert manchmal an Kalligraphie. Durch die grosse Strahlkraft des retroreflektiven Materials im Dunkeln verschwinden die Objekte, einzig die Silhouetten werden sichtbar.

Da ich von der ursprünglichen Umsetzung meiner Projektidee (mittels Siebdruck) absehen musste, konnte ich mich freier und spielerischer auf die neuen Möglichkeiten einlassen. Zu sehen, wie auch die Firmen immer weiter experimentieren, fand ich spannend. Mit diesem Einblick und Wissen um neue Technologien und Materialien folgt für mich die Überlegung, damit ein ganzes Raumbild für eine Ausstellung zu entwerfen.

 

NS: Du hast gerade das Spiel mit Zeitebenen erwähnt. Auf der visuellen Ebene sind sie deutlich erkennbar – in der Verwendung der Zeichensprache aus dem digitalen Raum (Publikation) etwa, oder in der Art wie Du politische Symbole wie Sichel und Faust als eine Art Branding/Logo verwendest. Auf der inhaltlichen, textlichen Ebene erscheint dies für mich weniger offensichtlich. Was fasziniert Dich an der Russischen Avantgarde und wo liegen für Dich hier die Anknüpfungspunkte mit unser heutigen Zeit?

 

 

AH: Die Russische Avantgarde griff ihrer Zeit weit voraus. Schon während der russischen Revolution (1917) übersetzten Künstler ihre experimentelle Praxis in alle Sparten der Produktion: In die Werbung, ins Produktdesign, in die Mode, Architektur, ins Theater und in die industrielle Produktion. Sie entwarfen Stoffe, Verpackungen, Alltagsgegenstände etc. - kurzum die Künstler entwarfen eine ganz neue Ästhetik des Alltags. Der „Neue Mensch“ sollte durch gutes Design eine bessere Lebensqualität erfahren, seinen Körper von enger Kleidung befreien und mehr Raum für die Gestaltung des neuen gemeinschaftlichen Lebens erhalten. Gleichzeitig ging es um Bildung. Im Theater und in Performances im öffentlichen Raum wurden die Massen zu politischem und sozialem Bewusstsein erzogen. Auf die textliche und inhaltliche Ebene bezogen, die Du ansprichst, geht es in der Publikation Programmheft jedoch um das Scheitern dieser Revolution, die zwar eine radikale Veränderung der Gesellschaft zum Besseren vorsah, aber ihre Ideale letztendlich verriet. Die Texte handeln jeweils von der Auslegung von Wahrheiten: Fortschritt vs Tradition, Parteibuch vs Religion, Realem/Sichtbarem vs Imaginiertem, wobei die Grenzen wie heute fliessend sind.
Das Thema Revolution begleitet uns ständig - wir befinden uns mitten im Ausnshmezustand - wie auch die Frage nach dem Menschen der Zukunft. Das retroreflektive Material (der Umschlag der Publikation) lässt die historische Distanz zum Jetzt wie in einem Rückspiegel näher erscheinen, sie blendet uns geradezu.

 

NS: In unserem Dialog wie auch in der Publikation fällt ab und an der Begriff „Theater“ und die in der TaDa-Residency entstandenen textilen Objekte assoziieren den Begriff „Kostüme“. Dennoch findet sich, ausser dem Dialogfragment zwischen Malewitsch und Brecht, kein Text, der sich tatsächlich für eine Bühneninszenierung eignen würde. Klar, du bist bildende Künstlerin und keine Theaterautorin! Aber dennoch scheint mir – nicht nur – in dieser Arbeit ein performatives Potential vorhanden, auch wenn dieses nicht aktiviert wird. Wie siehst Du das? Und gleich im Anschluss dazu: Wie muss ich mir denn „Die Bauern (1927)“ in einer Ausstellungssituation vorstellen?

AH: In der Publikation findet die Vorstellung im doppelten Sinne in der Vorstellung statt. Im Schlussbild steigen die Bauern aus dem Kornfeld, also aus ihrer Realität heraus auf die Bühne, wo sie den (Bühnen-) Boden beackern. Man fragt sich, wo die Grenze zwischen Realität und Fiktion während des Stückes verläuft. Dieser imaginäre Raum ist wichtig. Ich habe bereits zuvor eines meiner Objekte, den sog. „Siren Suit“(2020) von einer Akteurin in einem Film tragen lassen und in der Postproduktion aus den kurzen Bewegungssequenzen eine gesamte Choreografie mit mehreren Tänzer*innen entwickelt. Auch über „Die Bauern (1927)“ wird ein Film entstehen. In einer Ausstellungssituation sind die Exponate wie Trachten in einem historischen Museum installiert. Zusammen ergeben sie ein Tableau – wie in der Publikation beschrieben. Der Betrachter wird im Ausstellungsraum durch seine Bewegung einen Sensor auslösen, der die im Dunkeln wie ein mechanisches Balletts reflektierenden Exponate zum Rotieren bringt. An die Bewegung ist programmiertes Licht gekoppelt. Ein Zufallsgenerator wird alle Variationen durchspielen. Wie im Museum gibt es Wandtexte und Texte auf Displays aus dem Programmheft- und einen Film.


NS: Schon nur beim Lesen Deiner Beschreibung, wird der Sog spürbar, in den Du uns Betrachtenden ziehst: Wir finden uns in einem Strudel wieder in dem Vergangenheit und Gegenwart, Geschichte und Fiktion, Theorie und Spiel zusammenfallen. Zum Schluss möchte ich Dich gerne von Dir wissen, was Du ganz konkret an der TaDa-Residenz 2020 geschätzt hast, was Du aufprobiert, erfahren oder gelernt hast, was anderswo nicht möglich gewesen wäre und auch, was Dir – als erste Residentin – damals vielleicht auch gefehlt hat.


AH: Vor allem geschätzt habe ich einen Einblick in Geschichte, Innovation, Produktion und Vertrieb der verschiedenen Unternehmen zu bekommen. Die Nachbarschaften und das Zusammenspiel von Lokalem und Globalem, von Technologie und Tradition reichen in den Kantonen Appenzell und St. Gallen historisch weit zurück. Herangeführt zu werden an neue Techniken und Vefahrensweisen, als auch der Austausch mit Spezialisten war spannend und auch herausfordernd - vor allem in der Vielzahl der Möglichkeiten für das eigene Projekt. Um diese noch mehr ausschöpfen zu können, hätte ich mir mehr Zeit gewünscht. Um neue Verfahren/Materialien/Prozesse zu erforschen wird in den Unternehmen viel experimentiert und da befindet sich die Schnittstelle zur Kunst. Fragen zu einem erforderlichen neuen Umweltbewussein in der Produktion wurden in den Unternehmen hingegen eher vage beantwortet. Meine Arbeit „Die Bauern (1927)“ ist vielleicht deshalb hauptsächlich in Handarbeit entstanden. Das Folienmaterial bestand zum Teil aus überschüssigen Resten vom industriellen Stanzen, zum anderen aus Formen, die von einer kleinen Stanzmaschine in kleiner Auflage gemacht wurden. Die Trägermaterialien wie Jutesäcke und altes Leinen waren aus dem Brockenhaus. Da wir die Pioniere der TaDa-Residenz waren, war alles noch offen und ein Experiment, was ich sehr gut fand. Ich hoffe, dass es demnächst die Möglichkeit gibt, alle entstandenen und noch entstehenden Arbeiten in einer Präsentation/Ausstellung sehen zu können.