Musée des Chemises

Musée des Chemises

Birgit Laskowski

Wer Installationen von Alexandra Hopf betritt, erlebt unweigerlich ein Dejà vu, so auch im Musée des Chemises, wo man sich nicht zufällig an Inszenierungen des belgischen Künstlers Marcel Broodthaers (1924–1976) erinnert fühlt. An der Wand ein Schriftzug mit dem Titel der Ausstellung, und eine aufgemalte monochrome Fläche mit unregelmäßigen Kanten. Von Zierpalmen in Pflanzkübeln gesäumt, durchquert ein Paravent aus gemaserten Holzpaneelen den Raum, er dient als Display für transparente Hinterglasmalereien. Darauf schweben geisterhafte Gestalten ohne Kopf, sie tragen Gewänder, deren Muster sich aus Motiven zusammensetzt, die ebenfalls merkwürdig vertraut wirken. Was ist das für ein „Museum der Hemden“?

Die Künstlerin betrachtet Mode als Metapher für die Konstruktion von (Kunst-)Geschichte. In vielfältigen Medien untersucht sie diesen Prozess, indem sie faktisches, d. h. originales, und imaginatives, von ihr selbst erschaffenes Material zu einem komplexen Beziehungsgeflecht verbindet. Kleidungsstücke, Gemälde und Zeichnungen, Filme und Fotografien tauchen in ihrem Werk in Rück- und Vorblenden in Vergangenheit und Zukunft auf und unterlaufen die Vorstellung eines linearen Geschichtsverlaufs und die Logik der Ereignisse. Zwischen Aneignung und Transformation überführt sie Zitate und Versatzstücke aus der Kunsthistorie in poetische Settings. Die Dinge im Raum scheinen in bedeutungsvollem Bezug zueinander zu stehen, dessen Enträtselung jedoch oft in den Hintergrund tritt, da man sich angesichts der ästhetischen Autonomie der einzelnen Manufakte in Bann gezogen fühlt.

Alexandra Hopfs Installationen, obwohl aus manifesten Objekten komponiert, erzeugen doch eher schwingende Zwischenwelten und Projektionsflächen als fassbare Systeme. Der Eintritt in ihre Arrangements vermittelt zugleich die Anmutung einer codierten, fast didaktischen – eben musealen – Anordnung und die Atmosphäre eines lediglich temporären, veränderlichen Zustands, kurz vor dem Moment, in dem sich Neues aus dem Kleid des Bekannten enthüllen wird.

Der fließende Übergang von Kunstformen und parallel der potentialgeladene paradoxe Stillstand, das Innehalten vor der Formwerdung neuer Ideen1, verbinden das Werk der Künstlerin mit dem des Belgiers Marcel Broodthaers, der in Sprache, Objekt, Malerei und Filmographie die Austausch- und Ersetzungsbeziehungen zwischen Dingen, Wörtern, Zahlen, Buchstaben und Personen thematisierte. In der Praxis beider Künstler verweben sich zeitliche und wertediskursive Aspekte im „Stoff der Geschichte“, im Sinne eines „Redite“ 2, einer Wiederholung und Reinterpretation in verändertem Kontext. Die Kopie von der Kopie reflektiert die Praxis des Verweises und der Referenzen in der Kunst wie in der Mode. 

Nichts geschieht ohne Vorgeschichte, Visionen nähren sich aus Erfahrungen, alles Gesagte, Geschriebene und Gestaltete bezieht sich auf Vorausgegangenes und stellt es gleichzeitig infrage. Wie Broodthaers wirbelt die Künstlerin die eindeutigen Beziehungen durcheinander, Bezüge scheinen für Momente auf, um wieder zu verschwinden und neue Unionen einzugehen. Prozesse der Verwandlung und der absichtlichen wie unbeabsichtigten Manipulation von Bildern durch Reproduktionstechniken sind Thema in beiden künstlerischen Œuvres. Nie gibt es das unveränderliche „Bild an sich“, weshalb Alexandra Hopf auch die Faszination für das zeitbasierte Medium Film mit dem Belgier teilt. 

Referentieller Rahmenort für ihre „Vorführung“ und imaginative Ver-führung im Dachgeschoss von LRRH ist der Kellerraum am Burgplatz 12 in Düsseldorf, in dem Broodthaers zwischen Januar 1971 und Oktober 1972 die Section Cinéma seines berühmten Musée d´Art Moderne, Département des Aigles installiert hatte. 3 

Die Farbfläche an der Ausstellungswand entpuppt sich als Grundriss dieses unterirdischen Raums aus den 70erJahren, Dreh- und Angelpunkt der Arbeit ist die Erinnerung an diesen Ort, der die Künstlerin fasziniert hat, und den sie stets mit sich herumgetragen hat. Dabei ist es nicht relevant, ob er nur in ihrer Vorstellung existiert hat, oder ob sie wirklich dort gewesen ist. »Obwohl ich sicher bin, dass ich da gewesen bin – vielleicht ja als Geist…?« Die Um-Schreibung des Erlebten in der Rückschau ist immer Teil der neuen Narration.

Mit den Glaszeichnungen dockt die Künstlerin an ihre innere Projektion an und visualisiert einen Kreislauf der Bilder: Körperlose Bilder, die ihrerseits Abbilder tragen, an die Paneele montiert wie Sequenzen eines Films. Anfang war das Original einer Zeichnung von Pieter Bruegel d. Ä., eine Referenz an Hieronymus Bosch, auch „der zweite Bosch“ genannt. Die Zeichnungen von Bruegel wurden als Kupferstiche von Pieter van der Heyden umgesetzt und erlangten eine weite Verbreitung. Diese wurden wiederum von anderen Künstlern kopiert, nicht zuletzt von seinem eigenen Sohn, Pieter Bruegel d. J. und blieben weiter in Bewegung:
Broodthaers, ebenfalls Meister der Referenzen, bannte die Zeichnungen 1964 (zum Teil ausschnitthaft) auf einen Filmessay mit dem Titel Bruegel et Goya, Journalistes. In seinen gesprochenen Kommentaren referiert der Künstler über die Parallelen im grafischen Werk der beiden Künstler, die, getrennt durch zwei Jahrhunderte und stilistisch auf den ersten Blick weit voneinander entfernt, doch in ähnlichen Bildfindungen politische Kritik übten und subversive Techniken der Unterwanderung der Zensur anwandten. Die in seiner Publikation „Cinéma“ reproduzierten Stills aus diesem Film dienten wiederum Alexandra Hopf als Vorlage für ihre Reproduktionen auf Glas, nun wieder seitenrichtig den Originalzeichnungen entsprechend. Die jeweiligen Interpretationen durch die Zeiten überlagern sich und erschaffen wieder Originäres.

Die immateriellen Hemden unterm Dach des Musée des Chemises materialisieren sich im CUBE des LRRH_AERIAL als Chemise en scène. Die Entgrenzung zwischen Kunstwerk, Gebrauchsgegenstand und Warenwelt ist ein weiterer augenzwinkernder Verweis auf Broodthaers, denn das Stoffmuster der Unisex-Edition von Alexandra Hopf nimmt direkten Bezug auf ein Oberhemd, das Marcel Broodthaers 1971 in einer Spiegel-Anzeige der Fa. van Laack trug und dort selbst als Model bewarb. Die so kommerzialisierte „Persona“ des Künstlers, im Untertitel der Originalannonce als „Directeur des Musée des Aigles“ vorgestellt, deutet Alexandra Hopf in eine weibliche Version zur „Directrice des Musée des Chemises“ um. Der künftige Träger oder die Trägerin dieses „Simulacrums“, schlüpft hinein ins Kostüm eines ewigen Theaters des Wandels. Mode ist Wechsel in Konstanz, oszillierend zwischen Rückverweis und Avantgarde, Replik und Vision, Adaption und Kreation. Unermüdlich überführt die kapitalistische Serienproduktion das Original in die Kopie.

Das großformatige Karomuster des Hemdenstoffs irritiert durch Überlagerungen der Druckebenen, in einer Art Trompe-l´oeil erschwert es dem Auge ein „Davor“ und „Dahinter“ zu definieren, gleichsam Sinnbild für das Raster der Geschichte und die Unzuverlässigkeit derer (Re-)Konstruktionen.
So kreiert Alexandra Hopf im ironischen Rückgriff und in aller Offensichtlichkeit des Uneindeutigen – ganz „Marke Broodthaers“ – ein tragbares Manifest für den Zweifel am Bild: Ceci n´est pas un Broodthaers!

 

 

 

1 Vgl. Amine Haase, Nomadisierender Geist, Marcel Broodthaers: Cinéma in:
Kunstforum International,  Bd. 139, 1997, Kunst und Literatur Teil I, S. 350 – 351

2Vgl. Gabriele Mackert, Marcel Broodthaers´ Praxis des Kopierens“ in: Annette Gilbert (Ed.): Zur Appropriation von Texten und Büchern in Büchern, S.169

3 Vgl. Eric de Bruyn, Medienkunstnetz.de/themen/kunst_und kinematografie/broodthaers, zuletzt aufgerufen am 28.04.2023: »In einem figurativen Sinn diente dieser unterirdische Raum sowohl als Gründungs- wie auch als archäologischer Ort, in permanentem Wechsel zwischen Auf- und Abbau, Montage und Demontage. In einem wörtlicheren Sinn erfüllte die Section Cinéma eine Mehrfachfunktion als Lagerraum, Versammlungsort, Produktionsstudio, Filmtheater und Galerie.«